Sprechkompetenz und deutsche Werte
Eine Sprachkurserfahrung mit Flüchtlingen aus Grünstadt
2. Dezember 2015,Tag 0: Es geht los
Morgen ist es so weit. Ich überlegte, Flüchtlingen einen Einführungskurs Deutsch zu geben.
Als ich in den letzten Wochen jemandem diesen Gedanken mitgeteilt habe, war immer die Reaktion, mehr oder weniger direkt und/oder höflich: Du? Du kannst doch selber kein Deutsch ohne Akzent sprechen, von Akkusativ/Dativ ganz zu schweigen.
Es stimmt, die haben Recht.
Nur, wenn ich Tag für Tag die Menschenströme gesehen habe, wie viele Menschen sich weit über das normale Maß hinaus engagiert haben oder wie Polizei und Hilfskräfte im Einsatz waren, war ich sehr beeindruckt. Und ich fand auch, dass Merkel übertrieben hat. Ich konnte das ohne weiteres finden – ich bin ja kein Bundeskanzler, sonst wäre ich es gewesen, der übertreibt.
Wohin mit diesen Menschen, wie wird es werden und alle sollen integriert werden?
Da habe ich sofort verstanden: Deutsch reden zu können ist eine absolute Notwendigkeit für eine gelungene Integration, für Arbeit, nachbarschaftliche Beziehungen usw. usw.
Kann ich da einen Beitrag leisten? Eigentlich nicht. Ich rede Deutsch mit einem flämisch-niederländischen Akzent. Und natürlich rutscht mir immer wieder mal ein Akkusativ und Dativ durcheinander und und und. Ich bin eben ein Ausländer.
Gleichzeitig dachte ich, die Flüchtlinge sind auch alle Ausländer. Diejenigen, die älter als 30 sind, werden nie ohne Akzent Deutsch reden können, weil Erwachsene die Fähigkeit, das Gehörte mit Worten tongleich wiederzugeben, verlieren. Kinder können das perfekt. Und wer hört schon den Unterschied zwischen Deutsch mit syrischem und Deutsch mit syrisch-flämischem Akzent? Und bevor die Flüchtlinge ein Problem mit Akkusativ und Dativ haben, ist die Integration schon längst gelungen.
Ich fragte mich, was ist gut für dieses Land und für diese Menschen. Meine Antwort lautet: In dieser Situation ist ein (1) Deutschvermittler mit Akzent und schwachem Akkusativ besser als ein Deutschvermittler weniger – die Not ist ja groß.
Ich nahm all meinen Mut zusammen, und machte mich an die Arbeit. Nach etwa 100 Stunden suchen – schreiben – korrigieren hatte ich Unterlagen für einen halben Kurs zusammen.
Ich wollte, dass diese Menschen schnell Deutsch lernen. Also biete ich einen 6 wöchigen Kurs, 4 Tage die Woche von 9 – 12 Uhr, an. Die Flüchtlingshelfer, denen ich begegnete, meinten, dies wäre ziemlich intensiv. Das würden die Flüchtlinge nicht packen!
Mag sein. Nur, unausgesprochen will ich natürlich auch vermitteln, dass dieses Land ein Land von fleißigen Menschen ist. Diese Wahrheit sollte zusammen mit anderen Werten (wie Pünktlichkeit usw.)immer im Raum schweben. Mal gucken, wie richtig ich die Lage eingeschätzt habe.
Ich habe bei der Vorbereitung viele Menschen um Hilfe gebeten. Ich wollte einen Raum, Kugelschreiber, kopierte Unterlagen, Broschüren usw. Das war wirklich schön: Alle haben mir umgehend weit über das Gefragte hinaus geholfen. Ich fühlte mich reich beschenkt, eine Energie, die ich zusammen mit meiner Energie weiter geben werde,
Morgen geht es los. Noch liegt mein Boot auf der einen Seite des Ufers, das Boot der Flüchtlinge auf der anderen. Mal gucken, wo sich unser Zweigespann zusammen gefunden haben wird, wenn wir unten bei der Mündung angekommen sind.
Ich habe Bammel.
Tag 1: Kinder Willkommen!
09:00 Uhr: Ein Teilnehmer (TN) aus Pakistan ist gekommen. Ich sage, dass wir jetzt beginnen und er meint, dass wir besser noch 10 oder 15 Minuten warten. Ich verneine dies und beginne den Unterricht. Er macht brav mit. Nach einer Zeit geht die Tür auf und ein kleiner Umzug kommt herein. Zwei Männer und zwei Frauen mit Kopftuch tragen zwei kleine Kinder (ca. 1 Jahr alt) und einen Buggy in den Raum. Sie setzten sich und wenn das erste Kind aufhört zu weinen beginne ich noch einmal. Die Männer machen gut mit – die Mutter der Kinder gibt ihnen sehr viel Süßigkeiten.Wir üben: Guten Morgen – Mein Name ist… -ich komme aus… – ich bin ein Mann(eine Frau) – Ich bin verheiratet, ledig (der jüngere TN schreibt sich das Wort sofort auf) oder geschieden.
Ich erkläre die Begriffe und sie wiederholen alleine oder mit der Gruppe die Sätze immer wieder. Die Mutter der Kinder beteiligt sich immer weniger. Es tritt noch eine junge Frau ein und um 10 Uhr noch eine Familie mit einem 5-jährigen Jungen. Der letzte TN kommt gegen 11 Uhr. Alle die eintreffen begrüße ich sehr freundlich, zeige auf die Ziffer 9 der Uhr und sage: „Morgen beginnen wir um 9 Uhr, ok?“.
In der Pause um 10.30 Uhr will eine TN, dass ich eine Bescheinigung unterschreibe, damit ihr Kind ganztags im Kindergarten bleiben kann. Ich verweise auf meine Koordinatorin und versuche zu erklären, dass ich hier nicht wirklich helfen kann. Sie zeigt mir gleich das Bild Ihrer Tochter. Der jüngere TN will wissen wie alt ich bin. Ich sage 64 er schreibt auf seinen Handy: 46.
Nach der Pause machen wir weiter mit „ich – du – er, (sie-es) – wir usw. „. Mit 3 TN vermittle ich Gesten zu den Begriffen. Wir vier wiederholen die kleine Aufführung 3 – 4-mal, dann die ganze Gruppe. Nach 5 Wiederholungen schallt es durch den Raum: „Ich – du – Er….“ Das eine kleine Kind weint jetzt sehr und auch die jüngere Frau habe ich verloren.
Jedoch: Der Ehemann der jüngeren Frau erzählt mir, da ist noch ein weiteres Kind, Er zeigt auf den Bauch der Frau. Oh „Schwanger“ habe ich nicht in meinem Wortschatz. Hier ist ein kleiner Ausflug angesagt. Ich vermittele: „Gratuliere – Schwanger und eine werdende Mutter – geboren“. Bei „eine werdende Mutter“ wird es laut im Saal. Es wird viel erklärt, ich glaube und hoffe, sie finden die Worte schön. Ich sehe sogar ein schüchternes Lächeln bei der werdenden Mutter, auch wenn sie müde aussieht. Dann ist das Alphabet dran. Alle können es lesen. Drei TN und die zwei kleinen Kindern verlassen den Raum. Der jüngere bleibt. Ich lächle dem „werdenden“ Papa zu: „Bis morgen“. Er nickt verlegen.
Ich bitte die TN Ihre Namen aufzuschreiben. Alle können schreiben – Glück gehabt.
Es folgt das Buchstabieren (schwieriges Wort): „Anton, Bertha, Cäsar,…“ immer wieder. Ich lege ihnen nahe: „Bitte, bitte lerne es auswendig. Ausländische Namen sind für jeden schwierig, Sie können jedoch jedem in Deutschland ihren Namen buchstabieren und er wird ihn verstehen. “ Julius – Richard – Xanthippe sind schwierig, wir schwitzen.
Ich ermutige sie: Als Ausländer haben sie einen Vorteil: „Man darf beim Reden Fehler machen, niemand wird Sie auslachen.“ Keiner glaubt es: „Ich habe erfahren. Lachen über Sprachfehler ist in Deutschland tabu. Wir lachen nie über andere, nirgendwo – no way. Wenn Sie sagen: „Das Kind ist bose“, lacht ein Deutscher nicht. Er versucht es zu verstehen und macht aus „bose“ in seinem Kopf „böse“ und versteht es. Aber reden Sie – reden Sie“.
Sie lächeln erleichtert und ich ergänze: „Heute Mittag von 4 bis 5: Anton – Bertha…, üben, üben“.
Das Wort ist im Raum, der junge TN nickt.
Der 5-jährige Junge saß die ganze Zeit ohne Spielzeug still zwischen seinen Eltern, ich habe keinen Ton gehört. Gegen Ende lenke ich die Aufmerksamkeit auf ihn: „Der kleiner Junge ist ganz (= 100 %) brav, wirklich brav“ Zu den Eltern: „Wenn eine Mutter zu Ihnen sagt: „Ihr Junge ist ganz brav, ist das …“ Ich mache beide Daumen hoch. Sie lachen, ich sehe Hoffnung.
Zuhause frage ich meine Frau, ob ich ihm morgen nicht etwas aus unserem Enkelschrank ausleihen kann. Sie holt einen Set Mandalas und Buntstiften zum Ausmalen und meint, ich soll es ihm schenken.
Tag 2: Lehrer gesucht
9:00 Uhr: Eine TN aus Afghanistan ist da. Sie hat, wie vereinbart, noch zwei Familienmitglieder dabei. Ganz neu ein Pärchen aus Iran, wie die Betreuerin sagt, mit Hochschulabschluss.
Wir beginnen. Dann kommen die zwei Brüder ohne Ehefrau, Mutter und Kinder. Ich frage nach der Ehefrau. Er sagt sie hat Schmerzen. Ich lege ihm nahe, das Deutsch lernen auch für seine Frau wichtig ist. Der Papa vom braven Jungen kommt noch später – alleine.
Weil die Gruppe ziemlich neu ist, beginne ich ganz von vorne. Es fällt auf, dass die zwei junge Männer von gestern, es heute viel besser können. Ich lobe und erkläre den andern; Sehen Sie, am nächsten Tag geht es schon so flott. Sie strahlen.
Beim „ich bin verheiratet – ledig…“ erfahren wir, dass das junge Paar dieses Jahr geheiratet hat. Ich bringe die Worte „Heirat – Hochzeit und Hochzeitsfest in die Runde. Den Neuankömmlingen verrate ich auch noch, was eine werdende Mutter ist. Dem Ehemann gefällt das, glaube ich.
Beim Unterpunkt „ich bin ein Mann ich bin eine Frau“ und begrüßen wir uns mit „Guten Tag Frau..“ aber „Guten Tag Herr…“. Ich gehe auf einen TN zu und gebe ihm die Hand: „Guten Tag Herr….“ Ich mache das noch einmal, er bleibt sitzen. Ich setze mich und sage: „ Hier in Deutschland, wenn wir uns die Hand geben, stehen wir auf. Hier machen wir das so“. Ich übe noch zwei Mal mit meinem Partner. Beim ersten Mal ist er zu langsam, beim zweiten Mal klappt es. Er bekommt Applaus. Wieder ein Deutsch-Schrittchen weiter.
Buchstabieren. Eine neue TN kann nicht so gut schreiben denke ich – etwas mühsam. Der jüngste Teilnehmer hat wirklich Fortschritt gemacht, sogar Xanthippe klappt schon gut. Ich erwähne die DIN Norm, niemand kennt DIN A4. Ein TN zweifelt, ob das überall in Deutschland gilt. Natürlich, es ist eine DIN: Deutsche Industrie Norm. Und erkläre noch mal, dass Ausländische Namen für alle schwierig sind. Dann telefoniere ich (im Spiel) mit dem Mitarbeiter vom Sozialamt. wie er am Computer sitzt und einen Namen hört, womit er nichts anfangen kann. Seine Mundwinkel sinken. Ich sage: „Soll ich mal Buchstabieren“? Er. „Ja, tun Sie das“. Mundwinkel nach oben und ich buchstabiere: „Dora…“. Meine Botschaft: Wenn Sie das so machen, ist es einfacher für den Mann vom Sozialamt, und wenn es für ihn besser ist, ist das besser für Euch.
Kurz vor der Pause setze ich mich vor dem jungen Pfiffigen TN und frage die anderen uns zu helfen, damit er versteht, was ich sage.
Ich trage ihm auf, fünf Freunde zu suchen und jeden Tag eine Stunde lang unsere Unterlagen zu üben. Auch wenn die Aussprache nicht perfekt ist, wichtig ist, dass Sie üben, üben. Und wir treffen uns Mittwochnachmittag und ich korrigiere dann die Aussprache der Gruppe. Er nimmt den Auftrag an. Ich gebe ihm die Hand und erwähne, wenn man sich in diesem Land die Hand gibt, gilt das auch. Er bleibt sitzen. Sein Bruder stößt ihn an: Aufstehen!
Im Haus arbeiten Elektriker, sie haben eine Praktikantin aus Eritrea – ich wusste das. Sie kommen zufällig vorbei um Material zu holen. Ich winke die Praktikantin und bitte sie, sich vorzustellen. Sie ist lieb und macht es. Die anderen hören ihre Sprache. Ich erkläre, dass Sie vielleicht bald Arbeit hat – Hoffnung. Wir verabschieden sie mit einem Applaus. Natürlich ist sie verlegen.
Nach der Stunde fragt der Papa vom braven Jungen, er hat es aufgeschrieben: “Kann ich sagen, Ich bin M…..“? Meine Antwort: ja, das ist auch richtig. Wenn Sie „Meine Name ist…“ sagen, merkt der Beamte vom Sozialamt, dass du einen Deutschkurs belegt hast. Das ist besser für Sie.
Schlagartig blicke ich in zutiefst traurige Augen. Ich fasse ihn an und höre mich ermutigend sagen: “Wir schaffen das“.
Tag 3: Volatilität und erste Sätze
09:00 Uhr: Sieben Teilnehmer sind gekommen. Davon sind vier TN zum ersten Mal hier. Also beginnen wir noch mal mit „Guten Morgen, mein Name ist…“. Im Laufe der Zeit kommen noch sechs weitere TN, zwei davon sind neu. Ich frage den Papa vom kleinen Jungen nach der Ehefrau. Er sagt, seine Frau kommt morgen mit. Die Mutter der drei Kinder sagt etwas vom „Zug“.
Ich wechsele das Thema und erkläre zum ersten Mal, es ist besser sich abzumelden. Ich sage: „Ich brauche keine Begründung, sage einfach, ich komme später oder ich komme nicht“.
Beim Durchgang von „Ich – du – er….“ will ich, wie beim letzten Mal, ein „Du“, ein „Er“ und eine „Sie“ im Viererkreis. Ich lade zwei Männer und die TN, die nicht gut lesen kann, ein nach vorne zu kommen. Die Frau zuckt – ihr Mann sagt etwas Unverständliches. Der Nachbar erklärt, der Mann will nicht, dass ein fremder Mann…. Ich habe es sofort verstanden und entschuldige mich aufrichtig und ausführlich. Bis der Mann mir zunickt. Pfff.
Die Frau hatte kein Kopftuch auf, nur eine Mutze. Wie viele hier, wenn es kalt ist.
Beim „ich- du …“ probiere ich bei einem Teilnehmer durch Gesten den Rhythmus zu erhöhen. Er macht mit. „Und noch einmal!“, er macht jetzt ganz schnell – alle lachen, er auch – Entspannung.
Dann üben wir zählen. Das ist wieder für alle schwierig. Vor allem :
Sieben – siebzehn – siebenundzwanzig – siebzig
Auch siebzehn und siebzig werden vertauscht und natürlich „fünf“ und „funf“. Aber das kenne ich, es dauert ein Jahr, bis die Umlaute sitzen bei 90 % der gesprochenen Wörter.
Wir erreichen allerdings die Hundert und morgen ist wieder ein Tag.
Es folgt noch Mal „Anton, Bertha…“ und das Sozialamt. Danach erkläre ich, dass wir mit den ersten Sätzen beginnen, zuerst kommen einfache Sätze. Dass ich in diesen Kursunterlagen etwa 400 Worte eingebaut habe, die Wörter, die man für eine Unterhaltung im Kindergarten, usw. braucht. Ich weiß nicht, ob ich
ihnen Mut mache, wenn ich erwähne, dass wir bis Ende Januar alle Wörter kennen werden.
Spenden: Ich habe bei der Vorbereitung des Kurses viele Menschen um Unterstützung gebeten. Die große Hilfsbereitschaft hat mich sehr gefreut. Eins wollte ich jedoch partout nicht. Ich wollte nicht um Spenden bitten, weil ich kein Nikolaus spielen wollte. Ich wollte nicht, dass die Menschen kommen, weil sie Socken bekommen, sondern nur weil sie Deutsch lernen wollen.
Die eigenen Kinder berücksichtigten dies natürlich nicht und Samstag kam unsere Tochter mit Kinderbüchern und -kleidung. (erste Reaktion: grrrr, zweite Reaktion: ich bin stolz). Auf einmal kommt unsere kleine Enkelin mit einem Büchlein aus dem Kinderschrank, guckt mich an und sagt: „Opa, das ist für die Kinder, das brauche ich nicht mehr.“
Ich habe heute Bücher und Kinderkleidung verteilt. Meine Bedenken, dass es im Kurs Unstimmigkeiten gibt, weisen die TN entschieden von der Hand: Die Solidarität wirkt derart überzeugend, dass ich fast versucht bin, mich zu entschuldigen.
Den pfiffigen TN frage ich, ob er mit seinen Kumpeln Deutsch geübt hat. Es kommt keine so richtige Antwort und er meint, seine Kumpels sind jetzt hier. Ich sage ihm, er soll weitere Freunde suchen und wir treffen uns morgen, wenn er will, in der Stadtmission. Er bejaht, sein Nachbar auch.
Ich schlage vor, kleine Sprachaufnahmen in Whatsapp zu machen. Wenn er die weiter schickt, hat jeder Übungspartner den Originalton. Ich lese einen kleinen Abschnitt vor, sie sind begeistert. Ich bitte ihn eine Whatsapp-Gruppe mit seinen Sprachfreunden zu machen. Morgen lesen wir dann die einzelnen Abschnitte ein. Er fragt mich, ob ich kein Whatsapp habe. Ich zeige mein 10-jahre altes Handy. Er lacht verlegen.
Tag 4: Der Kurs steigt
Zu Beginn sind schon ziemlich viele anwesend. Das Pärchen mit Hochschulabschluss, das „hochmotiviert“ war, um Deutsch zu lernen, ist nicht mehr erschienen. Der kleine brave Junge ist mit seiner Mama wieder da. Ich gebe der Mutter einige Buntstifte und ein Malbuch. An Ende des Vormittags wird sie es zurückgeben, darf es natürlich behalten. Er wird mir noch ein Bild malen. Im Laufe des Vormittags füllt sich der Saal allmählich. Zum Schluss sitzen 23 Teilnehmer im Schulungsraum. Es übersteigt die Kapazität des Raumes.
Ich bitte die junge Mutter nach vorne, sie soll den Einstieg „Guten Morgen, mein …“ übernehmen. Es klappt ziemlich gut, sie bekommt Applaus. Ich wähle für morgen schon den Nächsten aus. Danach zählen wir weiter bis 1 Million und ich erkläre, wie die ausgesprochen Zahlen geschrieben werden. Bei dreihundertfünfundzwanzig zuerst vorne die 3, dann zum Schluss die 5 und in die Mitte die 2. Schwierig. Wir fahren weiter mit „Das erste Kind, usw.“ Bei zehn Kindern hören wir auf, die Frauen lachen. Bei Sechzigtausend erkläre ich den Begriff PLZ. Kaum einer kennt PLZ. Ich rate, die Zahl der eigenen Gemeinde aufzuschreiben oder auswendig zu lernen. Es folgt eine kleine Predigt über Pünktlichkeit und Abmelden. Am Ende des Vormittags habe ich vier Abmeldungen.
Kurz vor der Pause um 10:30 Uhr frage ich die junge Mutter, ob Sie das Wort „Ausbildung“ übersetzen kann – Ihr Ehemann macht eine Ausbildung. Nach einigen Anläufen haben wir das Wort im Raum. Bei einer Ausbildung lernen wir und gleichzeitig arbeiten wir. Ein TN versucht mir zu erklären, dass der theoretische Teil der Ausbildung an der Universität stattfindet. Ich lasse dies erst mal stehen. Ich verteile die Broschüre „Nach vorne führen viel Wege“ vom Ministerium für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung in Mainz (Danke liebe Mitarbeiterin vom Ministerium). Ich erkläre, dass viele von ihnen, wenn sie dann bleiben dürfen, wohl eine Ausbildung werden machen müssen. Ich rege an, dass sie die Broschüre mit nach Hause nehmen, sie zuhause übersetzen und lesen. Wir werden in Januar diese Broschüre besprechen und Berufsperspektive aufzeichnen. Ich verteile auch Kopien mit „a, b, c“-Schreibübungen.
Ich habe zu wenig davon.
Ich frage einen gut englisch sprechenden TN aus Afghanistan: „Übersetzen sie das mal auf Arabisch“. Er antwortet: “Ich kann kein arabisch, ich spreche Persisch.“ O jee, ich habe die ganze Zeit gedacht, er spricht arabisch. Ich frage die Syrer wer Englisch kann, niemand. Nur ein Syrer kann etwas Deutsch.
Nach den Zahlen kommt die Uhrzeit: Nur viertel nach drei ist ein Problem. Ich falte ein Blatt in zwei, dann in vier: die Hälfte, ein Viertel. Viertel vor vier geht dann ziemlich schnell.
Die Tage der Woche. Ich beginne mit Sonntag. Eine Teilnehmerin erwähnt bei Sonntag: „Sonntag ist schön, Zeit für die Familie und ruhig“. Danke und am Sonntag gehen manche Christen in die Kirche. Das war mal Tradition. Eine junge Frau hebt ungefragt den Finger: ich gehe auch in die Kirche.
Die Monate: Wir üben die Monate. Zuerst ich, dann gemeinsam, danach alle alleine. Beim ersten Mal sprechen die Teilnehmer mir meist nach.“ Januar – Januar, Februar – Februar, usw.“ . Ein Teilnehmer, zwei Stunden im Kurs und versteht kein einziges Wort Deutsch, rattert, wenn ich auf ihn zeige: „Januar, Februar, … bis Dezember“. „Nochmal“ – Ich erhöhe das Tempo: klappt ohne weiteres – er bekommt Applaus. Zwei Stühle weiter, eine Frau ganz in schwarz verhüllt, mit klarem Blick: genauso – Applaus. Ich bin begeistert, zeige es der Frau auch. Ich bin mir nicht sicher, ob der Ehemann auch begeistert ist.
Mit den Teilnehmern die von Anfang an dabei sind, haben wir laut Excel Wortzählmaschine schon mehr als dreihundert Worte in diesen vier Tagen behandelt. Wir kommen gut voran.
Tag 5: Begrüßung an der Tür und „Entschuldigung“
Viele sind pünktlich da. Es sind weniger als gestern. Gleich zu Beginn erkläre ich, dass ich nur 15 Teilnehmer im Kurs haben will und dass das auch so kommuniziert ist. Dies geht darauf zurück, dass ich in diesem U-förmigen Raum nur 15 Stühle habe. Mit dem Kreis habe ich Sichtkontakt. Das „persönliche“ Üben mit 15 Personen dauert jetzt schon lange. Dies ist für einige TN schwierig, weil ich absolute Ruhe will. Das mit der Ruhe verstehen sie, weil ich, immer wenn ein Teilnehmer stockt, sage: “Ssst, das ist schwierig für ihn“. Der unruhigste Teilnehmer versucht es doch: einer mehr oder weniger, da kommt es doch nicht drauf an. Ich gucke ihn mit strengen Augen an und zeige auf Ihn: „Gerade Sie, der nicht schweigen kann und immer mit dem Nachbar redet, Sie haben am wenigsten Geduld!“ Wahrscheinlich habe ich jemand beleidigt.
Ein TN führt durch die erste Runde. In 15 Minuten sind wir von „Guten Morgen, mein… bis zu
70, 80. 90 100“ gekommen. Richtig schön und eigentlich auch schon ziemlich schnell, mit wenigen Eingriffen von mir. Applaus Applaus. Noch einmal PLZ und fertig.
Wir üben weiter mit „erste, zweite, usw.“ und „Wann haben Sie Geburtstag?“ Ich lege nahe im Sozialamt immer mit ganzen Sätzen zu antworten: „Ich habe Geburtstag am… .“ Und dann passiert was Lustiges. Jemand kommt aus dem Wort „Begurtstag“ nicht raus.
Zwei lachen- Ich: „Nicht lachen!“ „Begurtstag“, seine Frau lacht mit. „Begurtstag“, die Freundinnen der Frau lachen auch mit. Begurtsag“ – alle lachen, er auch, ich auch.
Dann machen wir noch schnell die Uhr. „Viertel sitzt noch nicht, alles andere geht. Weiter.
Nachdem klar ist, was „Jahreszeiten“ sind, frage ich:“ Habt ihr in Afghanistan und Syrien auch Jahreszeiten?“ Ja, haben sie. Also: Herbst (Herbest), Frühling, Sommer und Winter.
Dann geht es weiter mit kurzen Sätzen mit dem Verb „Haben“ und Worten aus der Häufigkeitsliste. „eine Frage – eine Antwort – Ball – Freund/Freundin – Angst (Angest), usw.“
In der Pause kommt der junge Teilnehmer, der gestern nicht erschienen ist, mit seinem IPhone und eine Sprachausgabe mit dem Word „Entschuldigung“. Es wirkt sehr klein, seine Einsicht wirkt glaubhaft. Ich richte ihn auf, lächele ihn an und sage: „Ist fein, ich rede später darüber.“
Nach der Pause: 1 + 2 = 4. 4 ist ein Fehler. Er (der junge TN) hat gestern einen Fehler gemacht. Er ist um 4 Uhr nicht gekommen. Es geht so in Deutschland:
zu spät kommen: ein kleiner Fehler (ich male einen Strich)
sich nicht entschuldigen: ein größerer Fehler (dieser Strich ist länger)
sich nicht Abmelden: Fehler ist noch größer (Strich noch länger)
nicht kommen: ein wirklich großer Fehler,
und gleich danach: „Bitte, bitte, machen Sie das nicht – machen sie das einfach nicht.“
Ich entlaste den jungen TN: „Wir sind zum Lernen hier, hier ist es noch ok. Draußen (das Word kennen Sie) ist dies absolut nicht ok“ Betrübte Stimmung – der TN lacht jedoch etwas erleichtert.
Ich schreibe an der Tafel: „Frau = Mann“. Wir üben jetzt die Begrüßung an der Tür bei Freunden.
Ich zeige auf mein Rechteck, wo ich mich bewege: das hier ist jetzt Afghanistan und bitte zwei Ehepaare zu mir in das Rechteck. Ich erkläre, dass sie Freunde sind und eingeladen haben. Der Besuch kommt jetzt und sie sollen sich begrüßen. Es klingelt. Sie begrüßen sich auf Deutsch.
NEIN NEIN, das ist hier Afghanistan, und noch einmal. Sie machen es nochmal in ihrer Sprache.
„Ist das Afghanistan?“ Nein, sagen alle. Und noch einmal wie in Afghanistan. Es folgt eine Begrüßung: Da ist eine Herzlichkeit und Wärme im Raum, ich kann nur staunen. Applaus.
Mit der Christin spiele ich einladendes Ehepaar und wir üben die deutsche Begrüßung. Hier gibt die Frau zuerst die Hand. Wir üben, es klappt, auch mit dem „nicht überkreuz“.
(Mein Blatt ist voll, ich will noch einen Absatz schreiben, weil es so lustig war).
Wir üben noch „sich entschuldigen, wenn man im „Globus“ mit dem Einkaufswagen jemanden anrempelt. Ich spiele es mit einem kräftigen Mann, der es problemlos aushält. Ich glaube, er findet es auch lustig. Alle lachen wenn ich (kleiner Mann) ihn (großer Mann) anremple. – Applaus.
Ich erkläre: 95 % der Menschen in diesem Land sind Ihnen freundlich gesonnen. Bei denen sind sie willkommen und Sie wissen, viele helfen (Ich zeige auf die Kugelschreiber und die Kopien). 5% nicht, vergessen sie die. Ein TN sagt: in unserem Land sind es viel mehr, die Schlechtes wollen. Diese guten Menschen können Sie auf der Straße immer nach dem Weg fragen.
Das geht so:
„Entschuldigung?“ sagen sie und warten bis jemanden „ja?“ sagt und sie anguckt.
Sie gehen einen Schritt nach vorne und sagen:
„Guten Morgen, ich habe eine Frage. Können Sie mir sagen, wo die Kirche ist?“
Wenn jemand nicht „Ja?“ sagt, gehe einfach weiter.
Wir spielen wieder ein deutsches Ehepaar. Ein TN „Entschuldigung“, wir sagen:“ ja“ – er kommt schnurstracks auf mich zu: „Guten Morgen… „. Die Frau ignoriert er.
Dann spiele ich ein Mann aus Deutschland und spreche den Mann an. Das Spiel funktioniert.
Dann lasse ich seine (gespielte) Ehefrau „Ja?“ sagen und mich angucken. Ich gehe auf die Frau zu: „Guten Morgen, können Sie…“ und gucke nur die Frau an. Ich erkläre: Wer „Ja?“ sagt, wird angesprochen. Dann fragt ein pfiffiger Teilnehmer: „Und wenn beide „ja?“ sagen?
Ich muss Farbe bekennen. Ich zeige auf die Tafel mit „Frau = Mann“.
Ich bin ein Mann, wenn beide „ja?“ sagen, spreche ich die Frau an.
Wir spielen es durch. Heiterkeit. Wieder ein Schrittchen weiter.
Tag 6: Bethlehem
09:00 Uhr. Die Reihen sind gefüllt. Ich verteile zuerst den neuen Kopiensatz (danke Liebe Mitarbeiterin vom Katholischen Pfarramt in Grünstadt). Einige stöhnen: So viel noch! Ich meine:
„ Das sind die Unterlagen, die ich in Oktober und November vorbereitet habe. Und wir machen weiter bis Ende Januar, immer weiter. Wir versuchen so weit wie möglich zu kommen.“
Eine TNin führt uns durch „Guten Morgen, mein Name…“ . Die Uhrzeit, die Wochentage und Monate werden noch mal durchgekaut.
Um halb zehn kommen noch zwei Männer, die ich nicht kenne, herein. Ich sage zur Gruppe, dass ich keine neuen Teilnehmer mehr will und frage, ob ich sie wegschicken kann. „Bitte helfen Sie mir!“ schicke ich noch nach. Die Gruppe der TN aus Afghanistan überlegt sehr aufgeregt, dann sagt der englischsprechende TN zu mir: „Its up to you to decide.“
Da fällt mir die Geschichte von Weihnachten und Bethlehem ein und bitte sie Platz zu nehmen. Ich ziehe meine beiden Ohren auseinander und sage: „Gut zuhören“.
Als nächstes üben wir die Familie. Im Kreis ist auch ein achtjähriger Junge. Das macht es einfacher. „SCHW“ wie Schwester oder Geschwister ist schwierig auszusprechen. Und „Eltren“ statt „Eltern“. Dann spiele ich mit dem Jungen und vier TN Familie: Kinder, Eltern und Großeltern. Jeder sollte auf jeden zeigen und sagen was er/sie ist. Da es im Kreis kein Mädchen gibt, bin ich die kleine Schwester und hocke neben dem Jungen. Das finden sie lustig. Im zweiten Durchgang mit neuen TN fehlt mir eine Großmutter. Ich bitte einen Mann „Großmutter“ zu sein.
Kein Wiederstand: Glück gehabt.
Kurz vor der Pause verteile ich noch einige IHK-Flyer. Dort finde ich das Wort „Zuverlässigkeit“.
Ich zeige auf das Wort und empfehle, den Flyer zuhause in Ruhe zu übersetzen.
Danach frage ich, wer die Buchstabenseiten, die ich verteilt habe, ausgefüllt hat. Meine ganz schwache TNin hat sie nicht dabei. Ein Mann hat das Blatt sehr korrekt abgearbeitet.
Ich lobe ihn -Applaus. Eine junge TNin zeigt mir ihr Blatt. Es ist nur zur Hälfte vollgeschrieben. Das ist natürlich mein Stichwort. „Dieser Mann war sehr fleißig, sie war weniger fleißig“. Ihr ist es peinlich. Klar. Ich lege noch mal nach: „Normal sind bei uns die Mädchen fleißig und die Jungs etwas weniger“. Sie versteckt ihr Gesicht hinter den beiden Armen auf dem Tisch. Ich höre auf, gehe auf Sie zu und Entschuldige mich so lange, bis sie mir ihr OK gibt. Das dauert nicht lange, ihr Verhalten ist schon sehr „westlich“. Ich hoffe das Wort „fleißig“ ist jetzt in allen Ohren.
Ich will doch vermitteln, dass Deutschland ein Land von fleißigen Menschen ist.
Kurz vor Schluss verteile ich noch ein paar Kinderbücher. Und sage: „Und bitte keine neuen Teilnehmer mehr“. Ich gucke dabei den englischsprechenden TN an. Er reagiert wie ein falsch beschuldigtes Kind: „Ich habe Niemanden gefragt.“
Ich: „Glaube ich Ihnen, aber sie können es übersetzen“ – Entwarnung, er lacht.
Bevor alle weggehen kommen die zwei Männer mit einem „Übersetzer“ auf mich zu und fragen, ob sie nächste Woche Dienstag wiederkommen dürfen. Wenn Sie akzeptieren, dass sie erst mal außerhalb des Kreises werden sitzen müssen, weil mehr als 15 Teilnehmer bei der Individualprobe zu viel Zeit in Anspruch nehmen, sie still und leise sind (den „Übersetzer“ muss ich ständig ermahnen) und nicht stören, können sie natürlich kommen. Ich gebe noch mit: „Wenn Sie Dienstag und Mittwoch kommen, bekommen Sie Mittwoch auch meine Unterlagen.“ Diese Zurückhaltung geht darauf zurück, dass ich meine „Commerzbank“-Mappen mit Unterlagen zu oft an TN gegeben habe, die nur einmal gekommen sind.
Tag 7: Zahlensalat und Oma
09:00 Uhr: Es sind 15 TN anwesend. Insgesamt werden es 19 werden. Ein TN übernimmt die Wiederholungsrunde: „Guten Morgen, mein Name…“ . Dies klappt ganz gut. Nach den Zahlen bitte ich jeweils (5x) einen TN fünf Zahlen zwischen 10 und 100 zu nennen. Ein anderer TN schreibt sie an die Tafel. Die Schwierigkeit beim Zahlen schreiben habe ich unterschätzt. Etwa die Hälfte der Teilnehmer schreibt „34“ statt „43“ wenn „dreiundvierzig“ gesagt wird. Sie werden unruhig. Ich sage: „Nur langsam, morgen üben wir noch einmal, und so lange bis wir es können“.
Uhrzeit, Tage und Monate und Jahreszeiten rutschen durch. Danach üben wir die Fragen dazu (Wie spät ist es – welcher Tag haben wir heute – der wievielte ist heute (ist morgen oder war gestern) – Wann können Sie kommen – Wann sind sie geboren). Das ist schon ziemlich kompliziert: Einen Tag, eine Zahl und einen Monat aussuchen und das alles in einem Satz zusammen formulieren. Alle 15 werden gefragt.
Wir üben noch ein paar Sätze wie: „Im Frühling blühen die Blumen, dann sind wir viel draußen“.
Ü und U sind unglaublich schwierig. Ich erinnere mich an meine Anfangszeit vor 30 Jahren.
Die „Familie“ ist wieder einfach. Deswegen präsentiere ich: „Schwierig – schwanger – Schwester – Geschwister – Schiegereltern – Schwager“. Dies geht viel besser als am Freitag. „SCHW“ festigt sich. Pause.
In der Pause meldet sich ein TN für morgen ab: Arztbesuch. Ich lobe ihn sehr – er strahlt. Ich erwähne noch mal, dass ich keine Begründung brauche, nur die Information. Ich glaube, ich habe wieder einen Mann für das „deutsche“ Verhalten gewonnen. – So sollte es sein.
Nach der Pause ist Lesen angesagt: OMA
Du hast mir einst in meinem Leben
so viel Gutes mitgegeben.
Entführtest mich ins Wunderland
und gabst mir kleinem Knirps die Hand.
Du gabst mir Sicherheit und Halt
auch im verschneiten Tannenwald.
Ich erkläre erneut die schwierigen Worte. Ich lerne, dass alle Schnee kennen. Fünf TN lesen und ich sage: „Morgen frage ich fünf weitere andere Personen“. Ein kleiner Knirps ist auch anwesend.
Als nächstes lernen wir uns vorzustellen. Wir kennen alle Wörter dazu und ich stelle mich als erste vor. Das Wort „Hobby“ (im Garten arbeiten – Fahrradfahren – usw.) verstehen sie nicht.
Ich: „In Deutschland sollte man ein Hobby haben“. Schwierig – ich verschiebe „Hobby“ auf Januar.
Einige stellen sich vor. Ich erwähne, dass wir von ihren Ländern nur wenige Städte kennen (Syrien: Damaskus und Aleppo, Afghanistan: Kabul und Kundus, Irak: Bagdad und Basra und mir von Iran nur Teheran geläufig ist) und Sie beim Geburtsort zu diesen Städten Bezug nehmen sollten. Ich wähle fünf TN aus, die sich morgen vorstellen und sich darauf vorbereiten sollen: die ersten Hausaufgaben. Ich lerne: Ein TN ist in Aleppo geboren.
Es folgen die Körperteile. Das fängt lustig an. Weil ich nur wenige Haare habe und sage „die Haare“ und danach zeige ich schnell auf eine Frau „wenig Haare – viele Haare.“ Heiterkeit.
Bei Mittelfinger erwähne ich, dass man den Stinkefinger NIE zeigen sollte. Sie bestärken mich: bei Ihnen auch nicht, abgehakt.
Zum Schluss schreibe ich an die Tafel: „Wir haben heute hart gearbeitet“ und bedanke mich.
Zustimmung bei allen.
Tag 8: Kinderstube und im Globus einkaufen.
09:00 Uhr: nur ein Stuhl ist leer. Ein TN ist fünf Minuten zu spät, es wird leicht gerügt. Insgesamt werden 19 TN kommen, vier sitzen an Nebentischen. Es sind auch drei Kinder da. Sie werden bis halb zwölf sehr ruhig sein. Sie sind so ruhig, dass die Aufforderung „ruhig“ zu sein, wenn ein TN etwas zu wiederholen hat, nicht für die Kinder gilt. Mir fällt jedoch auf, dass die Kinder nicht miteinander spielen. Kein Kind weicht mehr als ein Meter von seiner Mutter. Auch wenn diese Situation für mich bequem ist, geht es mir dabei im Herzen nicht gut.
Zu Beginn weise ich darauf hin, dass der Unterricht erst am 12. Januar weiter geht. Dass man sich zwischen den Jahren „einen guten Rutsch“ wünscht und es am 31. Dezember um 12 Uhr nachts viel Feuerwerk geben wird.
Der Ablauf ist wie üblich: „Guten Morgen, mein..“. Es ist für mich sehr schön zu erleben, wie groß der Fortschritt bei einigen TN ist. Ich freue mich wirklich darüber. Bei den Zahlen sagen fünf TN fünf zahlen an, fünf schreiben. Bei denjenigen, die mit zwei Zahlen relativ gut umgehen können probiere ich es mit Zahlen bis 999. Das ist wieder schwierig. Weil ein TN vor Beginn meinte, er und seine Frau wollen um halb elf gehen und seine Frau sagt: „Nein um halb zwölf“, erkläre ich noch mal die Uhr: Wir beginnen um neun, dann folgt „zehn NACH NEUN, zwanzig NACH NEUN“ bis „HALB ZEHN“. Dann kommt „zwanzig VOR ZEHN“ und „zehn VOR ZEHN“. Wir sind uns einig: sie gehen um halb zwölf. „Viertel nach“ kennen sie auch noch.
Danach lege ich ihnen nahe immer „freundlich“ zu sein. Ich erkläre, dass wir uns in der Zeitung informieren. Wir lesen manchmal von Menschen in Heimen die sich schlagen und dadurch manchmal nicht gut wissen, welche Menschen hierhergekommen sind. Wenn wir allerdings diese Menschen z. Bsp. in einer Schlange an der Kasse sehen, und sehen, wie freundlich sie sind, denken wir: Es sind freundliche Menschen. Und das ist gut für alle und wir wachsen zusammen. Alle kennen „Globus“ und ich erkläre einen „freundlichen“ Ablauf an der Kassa und den Wortwechsel mit der Kassiererin: „Guten Tag/guten Tag – 22 Euro, bitte – bitte schön (Geld geben)/Danke schön (Kassiererin nimmt Geld an) – Bitte schön/Danke schön (Wechselgeld annehmen) – Auf Wiedersehen/Auf Wiedersehen“ und gehen. Alle müssen sich in der Schlange anstellen und bezahlen. Nach fünf Kunden gibt es einen Kassierer statt Kassiererin, er macht mit.
Zu Beginn wird „bitte schön“ und „danke schön“ gerne verwechselt. Es hört sich lustig an, wenn Kassiererin und Kunde beim Geldwechsel beide „bitte schön“ sagen. Es ist ehrlich lustig: unser Zusammensein hat sich schon so weit entwickelt, dass es hier keine Schadenfreude gibt.
Irgendwann meldet sich am Nebentisch ein TN und beschwert sich, dass ich mit Ihnen nicht persönlich (heute ist er zum ersten Mal dabei) übe. Ich erkläre ihm, dass der Kurs für 15 TN gedacht ist und sie am Nebentisch natürlich gerne zuhören können und mit uns auch laut üben können – Kursunterlagen haben sie auch. Er versucht zu diskutieren. Ich würge ab: „Nicht diskutieren, wir üben jetzt weiter“. Zustimmung in der Runde.
Ich frage noch die Buchstabenblätter ab. Fast alle haben sie, schön ausgefüllt, mitgebracht. Es sieht eigentlich sehr gut aus. Nur einmal wurde „q“ als „g“ geschrieben. Ich lobe sie sehr und gebe jedem drei karierte Blätter und ermutige ihnen zuhause meine Unterlagen abzuschreiben. Die junge TNin mit der halben Seite war diesmal auch sehr fleißig. Ich erwähne es und erbitte ein „APPLAUS“. Den bekommt sie auch. Sie lacht verlegen und die Augen strahlen.
Dann sind die drei Stunden schon wieder vorbei. Ich schreibe an die Tafel
„Wir haben hart gearbeitet“ und wünsche „eine gute Zeit“.
Tag 9: Tür aufhalten und Zahlendiktat
Zwölf TN sind gekommen. Zwei TN lassen sich abmelden, weil Sie einen anderen Kurs besuchen und später wird der Ehemann einer TNin vorbeikommen und mitteilen, dass sie krank ist. Wir beginnen mit der Wiederholung ab Seite 1. Die Uhrzeit lesen ist noch sehr schwierig. Eine gute Stunde später ist die Wiederholung zu Ende, die erste Hälfte hat wirklich gut geklappt. Danach kommt das Thema „Freundlichkeit“ dran. Ich erkläre, dass die meisten Menschen (ich sage 70 %) wirklich freundlich sind und ermutige sie, sich zu der Gruppe der „freundlichen Menschen“ zu gesellen. „Das ist gut für uns alle“ meine ich. Ich erwähne die erste Lektion „Im Globus“, mit „Guten Tag – Bitte Schön – Danke schön – Auf Wiedersehen“. Ich wiederholen auch noch mal, dass es die freundlichen Menschen sind, die uns Helfer helfen den TN zu unterstützen. Dann erkläre ich, dass „freundlich“ auch bedeutet, dass wir die Ladentür (ich habe einen Schuhladen ausgewählt) aufhalten, wenn jemand nach uns kommt. Ich wähle einen TN aus, er kommt nach mir in den Laden, ich halte die Tür auf. Ich habe Glück: Er sagt „Bitte schön“, er bedankt sich. Ich korrigiere, er soll „Danke schön“ sagen – leuchtet ihm sofort ein. Das spielen wir ein paar Mal durch: Ich bin mal ein Mann, eine Frau, ein Kind, eine alte Frau (dauert länger). Immer hält er mir die Tür auf und ich immer „Danke schön – danke schön“, das „bitte schön sagt er jetzt ganz fließend. Applaus.
Nach der Pause machen wir Zahlendiktat. Ich erkläre, dass ich wissen möchte, wie gut die Gruppe bereits Zahlen schreiben kann. Alle bekommen einen kleinen Notizblock mit „Nach vorne führen viele Wege“ als Deckblatt. Danke liebe Mitarbeiterinnen vom Ministerium für Wirtschaft! Sie sollen 20 Zahlen aufschreiben, die ich diktieren werde. UND, sie sollen nicht beim Nachbarn schauen, weil ich, der Lehrer, alles sehe – Ein Moment lang sind alle, wie in einer Klasse, das Kichern hört sich sehr jugendlich an. Und los. Ich sammele die Zettel, ohne Namen, ein.
Als nächste Sprachübung, anschließend an die Körperteilen und Körperverben (sehen, riechen usw.), arbeiten wir uns durch einen Fragebogen vom „Gesundheitswesen“.
Wir lernen akute – chronische Schmerzen, Atemnot und Blutungen. Bei Durchfall und Verstopfung wird es wieder lustig, weil ich es vormachen muss. Dann kommen noch Medikamente und Schwanger. Im Fragebogen steht „irgendwelche Medikamente“. Das Wort „irgendwelche“ verstehen sie nicht, und ich kann es auch nicht gut erklären.
Und weiter: Worte rund um Haus und Wohnung. Ich frage, wer in einem Haus und wer in einer Wohnung lebt. Dazu male ich zuerst ein Haus und einen Wohnblock. Wohnzimmer, Schlafzimmer, usw. Diejenige, die Englisch können, meinen das „Flur“ der Boden ist. Ich berichtige, gehe an die Tür und erkläre, dass wir hier in Deutschland Personen, die wir nicht kennen, nicht ins Haus lassen, Menschen die wir kennen, wie den Briefträger, in den Flur bitten und Freunde und Bekannte ins Haus bitten. Bei Boden (Teppichboden in Syrien) und Decke gibt es ein „Aha“ Erlebnis: Ich erwähne, dass Eltern manchmal „an die Decke gehen“ wenn Kinder nerven oder wild spielen. Jemand kannte den Ausdruck, wusste jedoch nicht, dass die Decke gemeint war. Ich spiele noch mal einen genervten Elternteil, die Eltern verstehen mich – sie lachen.
Um halbzwölf nehme ich die Broschüre „Nach vorne führen viele Wege“ und bitte die TN, sie morgen mitzubringen. Ich erkläre, dass die TN eine Arbeit suchen werden oder vielleicht zuerst eine Ausbildung machen werden. In der Broschüre sind mehrere Beispiele aufgeführt, wie der Werdegang eines Menschen aussehen kann. Ich mache Werbung für Deutschland: Hier kann man sich immer weiter entwickeln und erkläre das Schulsystem. Und hier ist es für die Menschen total ok, wenn jemand mit 30 oder 40 noch eine Ausbildung macht. Wir werden in den nächsten Tagen jeden Tag einen Fall lesen und erklären, damit sie ein Gefühl dafür bekommen, wie „Werdegang“ aussehen kann. Ich bitte eine TNin den Text für morgen zu üben. Sie wird zuerst lesen, danach werde ich ihn noch mal lesen und erklären. Sie akzeptiert – Freude bei mir – zeige ich auch.
Bereits 80 % verlassen den Raum mit einem „Auf Wiedersehen – bis Morgen“.
Tag 10: Erfreulicher Besuch
Alle sind pünktlich gekommen und wir starten mit dem Beispielsätzen von „Ich – du hast – …). Ein TN liest einen Satz, dann noch mal (LAUT) und dann die Gruppe. Es sind einfache Sätze und alle 8 ( von ich über er – sie –es bis Sie) TN machen ihre Sache gut. Ich lobe. Dann zählen wir von 1 bis 31, und dann 40 – 50 bis 100. Es klappt, auch wenn wir bei der langen Reihe ein paar Mal aus dem von mir gezeigten Rhythmus kommen. Danach deklamieren 10 TN nacheinander die Wochentage. Manche können das schon recht gut und machen dies ziemlich schnell. Ein TN will es auch schnell machen und verheddert sich. Die langsame Wiederholung klappt. Bei den Monaten brauchen wir noch Übung. Die Wiederholung von gestern: „Wann haben Sie Geburtstag?“ klappt auch noch nicht so gut. „Ich habe Geburtstag am fünfzehnten Oktober“ ist noch ziemlich schwierig und jemand hat am zehn ersten statt am elften Mai Geburtstag. Alle jedoch antworten mit diesem Satz und Niemand antwortet mehr mit der Wiederholung „Wann haben Sie Geburtstag?“ Schulalltag.
Bei dem Sommersatz „ Im Sommer gehen wir schwimmen oder baden.“ bringe ich jetzt den Bezug zum „Badezimmer“ von gestern. Manche haben ein Aha-Erlebnis.
Die Familienmitglieder und die Körperteile pauken wir durch. Ich ermutige: „Morgen wieder“, weil niemand sich erinnern kann was „Die Backe“ bedeutet und dass ein Kind „schöne Bäckchen“ hat.
Die Beispielsätze für die Körperverben (sehen, usw.) habe ich nach dem Schema „Hauptsatz, Nebensatz“ mit einer Auswahl der häufig verwendeten Worte zusammengestellt. Die TN schwitzen. Hier kann ich jedoch gut hören, wer Erfahrung im Lesen unserer Schrift mitbringt.
Dann kommt „das Gesundheitswesen“ dran. Ich bringe den Teilnehmern einen Trick bei.
Ich sage: Sie waren in einem Deutschkurs, so wie Sie bei „Wann haben Sie Geburtstag? antworten, „Ich habe Geburtstag am…“ antworten Sie beim Arzt auf die Frage „Haben Sie Schmerzen? mit „Nein, ich habe keine Schmerzen“ und nicht einfach mit „Nein“ – Das ist besser für Sie. Der dritte TN hat Pech: „Haben Sie das Bewusstsein verloren?“ – Nein ich habe kein Bewusstsein“. Ich erkläre den Unterschied zwischen „keine Schmerzen“ und „nicht verloren“. Schon wieder halb elf.
Kurz nach neun kommt der jüngste Schüler, der sich gestern mit „Bad Dürkheim“ hat abmelden lassen, herein. Ich strahle – er strahlt. Er entschuldigt sich und sagt, er geht jetzt in eine echte Schule. Heute war „keine Schule“ und deswegen ist er noch mal vorbeigekommen. Ich freue mich riesig, wünsche ihm Glück und erkläre der Gruppe: Das ist das Beste, was dem jungen Mann passieren kann und für ihn besser als hier zu sein. Ich ermutige ihn „lernen, lernen, lernen, bitte, bitte, bitte“ und, wenn keine Schule ist, sind Sie hier immer willkommen. Er nickt.
In der Pause zeigt er mir seinen Maxx Ausweis und bedauert, dass sein Name falsch geschrieben ist. Ich bestätige ihn und meine „Ihr Name sollte IMMER richtig geschrieben werden, das ist wichtig“ Und erinnere ihn daran, dass ich meinen Name immer buchstabiert habe.
Nach der Pause gibt es wieder Zahlendiktat. Für die TN-Familie mit Kind, die gestern nicht da war, wiederhole ich das Konzept: Nicht beim Nebenmann gucken, keinen Namen auf dem Zettel und bei „46 und 87“ schreiben wir von rechts nach links.
(Nach Korrektur zuhause: 6 TN schneiden bei den 20 Zahlen (10 – 99) fehlerfrei ab).
Dann kommt die erste Geschichte von „Viele Wege führen nach vorne“. Irina aus Kasachstan kam in der 6. Klasse in die Hauptschule, wurde dann „Konditorei-Fachverkäuferin (schwierig – schwierig) und bildet sich weiter bis Betriebswirtin und bildet jetzt Fachverkäuferinnen aus.
Ich skizziere den Werdegang, die TN finden es kompliziert. Verstehe ich, nach erst 10 Tage Deutschvermittlung. Ich neutralisiere: Wir werden jeden Tag eine solche Geschichte lesen, damit sie mit diesen Beispielen Zuversicht bekommen, dass ihnen in Deutschland vieles offen steht. Und dass wir uns hier in diesem Land freuen über jeden, der einen derartigen Werdegang realisiert.
Tag 11: Globus, Mut und Angela Merkel
Wir beginnen mit dem Buchstabieralphabet: Anton, Bertha, usw. Dann bitte ich die TN ihren Namen senkrecht, Buchstabe für Buchstabe plus Leerzeichen, zu schreiben. Manche können ihren Namen noch nicht richtig schreiben. Sie sollen das Blatt bis Morgen mit den Buchstabenkodes ergänzen – das wird für sie ein wichtiges Dokument.
Dann pauken wir Zahlen, Geburtstage, die Familie, die verschiedenen Formen der Begrüßung, Körperteile und Körperverben, die Zimmerbezeichnungen im Haus und die Gegenstände im Wohnzimmer. Nach der Pause werden wir die Gegenstände im Schlafzimmer behandeln.
Wir verwenden viel Zeit mit den zu den Themen gehörigen Sätzen, alle lesen jeweils einen Satz und wir wiederholen und üben natürlich: Küche – Kuchen, Blumen- blühen sowie Eltern, gerne, Fernseher und Angst, Herbst, (danke und) selbst. wie auch zehn. Zeh, Polizei, Zahlen.
Danach erkläre ich die neue App „ankommen“ von der BAMF und dass diejenige, die mit Bus oder Zug kommen, die Fahrkarten aufheben sollen, wegen einer Rückerstattung. Das sind viele neue Worte auf einmal. Wir machen es in 4 Sprachen, damit sicher ist, dass alle es verstehen.
Nach der Pause: Zahlendiktat. Ein Teilnehmer bekommt ein Blatt Papier mit den Zahlen 1 – 20 und auch (eins – zwei, usw.) ausgeschrieben. Er soll bis morgen diese Zahlen 10 Mal nachschreiben. Den Anderen sage ich, dass gestern 6 Diktate fehlerfrei waren und als häufigste Fehler Verdrehungen (64 statt 46) und Verwechslungen 17/70 bzw. 12/20 vorkommen. Ich lobe und erkläre, dass wir nächste Woche Zahlen wie 35,12 (Euro) oder 65,23 usw. üben werden, damit sie im Globus den Preis an der Kasse auch verstehen können. Das finden sie sehr gut.
Dann ist schon wieder 11:30 Uhr, Zeit für „Viele Wege“. Ich habe heute Morgen bei Wikipedia das Wort „Mut“ und die Übersetzung in Arabisch und Persisch gesucht und groß auf ein Blatt geschrieben. Ich zeige es, setze mich und bitte um Ruhe. Ich gucke alle nacheinander an (Augenhöhe) und sage: „Sie haben alle viel Mut“. Sie haben nicht nur Ihr Land verlassen, sondern sitzen jeden Tag hier und lernen Deutsch mit mir. Das ist schwierig für Sie. Und ich erinnere an die Menschen, die 1 oder zwei Tage kamen und wieder verschwunden sind. Sie nicken. Sie haben Mut und ich werde Ihnen mit „Viele Wege..“ zeigen, welche Möglichkeiten Sie hier haben.
Eine TN liest über Christian, der Drucker. Ich erkläre, male die Stationen und betone die Abschlüsse, die Christian gelungen sind und seinen Werdegang darstellen.
Dann kommt der Satz „…. mit dem Berufsabschluss auch geschafft“. Zu dem Wort fällt mir einen Satz ein. Ich schreibe an die Tafel: „Wir schaffen das“ und frage, ob jemand diesen Satz kennt.
Niemand. Niemand?! Nein Niemand, auch nicht die TNin, die schon lange hier wohnt.
Wer kennt „Angela Merkel“? Einige und nach einem arabischen und persischen Intermezzo, alle. Es ist die Bundeskanzlerin
Dieses Unwissen über den Satz des Jahres kann ich so nicht stehen lassen, wirklich nicht.
Wo ich stehe, ist gefliest, wo die TN sitzen, liegt ein Teppich: die Grenze. Ich frage die Familien wie lange sie schon hier sind. Drei Monate und ich zähle zurück: Januar – Dezember – November – Oktober. In Oktober standen Sie an der Grenze von Deutschland. und ich zeige nach unten: Deutschland – Österreich. Dann spiele ich die geteilte deutsche Gesellschaft: Diejenige, die die Flüchtlinge nicht wollen und schimpfen und, ein Meter nach rechts, die Gruppe, die sagt, sie sind willkommen.
Dann gehe ich auf den Teppich und sage: Angela Merkel hat allen Menschen hier in Deutschland gesagt: „Wir schaffen das.“ und „Sie dürfen kommen“. Und nach diesem Satz haben die Menschen hier gesagt „OK !“ und haben begonnen Ihnen zu helfen. Ich zeige auf alle Menschen im Raum und draußen „Wir schaffen das“. Und dann passiert etwas Wunderbares: Da die Teilnehmer gewohnt sind, jeden lauten Satz von mir zu wiederholen und ich den Satz „Wir schaffen das“ noch mal sage hallt es durch den Raum: „Wir schaffen das!“ Ein rührender Moment.
Tag 12: Ich habe es nicht verstanden und Polizei
Guten Morgen – guten Morgen, wir schaffen das – WIR SCHAFFEN DAS.
Ein guter Start. Die ganze Woche waren zwei Kinder dabei. Ich habe Mittwoch erklärt, dass die Kinder ruhig im Raum herumlaufen dürfen. Dass wir Erwachsene das akzeptieren sollten, auch wenn die Erwachsenen selbst während des Unterrichts nicht reden dürfen. Und natürlich, dass ich es gut fände, wenn sie miteinander spielen. Sie tun es nicht, obwohl keine Sprachbarriere besteht. Deswegen habe ich heute Morgen einige Kinderbücher mitgebracht, für die Kinder hier und die Geschwister zuhause.
Drei TN führen uns durch die Zahlen, die Familie, die Körperteile und –verben. Die dazugehörigen Sätze lesen sie nacheinander und wir wiederholen sie. Das machen wir zwei Mal. Dann sage ich: „Wir machen jetzt etwas schwieriges. Sie lesen jetzt jeweils einen Satz und ich sage, ob die deutsche Frau an der Kasse im Globus es verstehen kann. Einverstanden?“ Sie akzeptieren.
Die Hälfte der TN bekommen ihren Satz für deutsche Ohren verständlich hin. Bei einigen empfehle ich, zuhause zu üben und ich nehme den Druck etwas raus: Hier im Deutschunterricht ist
„Küche – Kuchen“ natürlich wichtig, wenn sie draußen „Kuche“ sagen, verstehen das die Leute – das ist wirklich nicht schlimm.
Dann kommt wieder die Liste vom Gesundheitswesen. Akut/Chronisch ist erneut zu erklären. Dann soll jeder nacheinander auf meine Frage „Haben Sie…“ antworten mit „Nein ich habe keine….“.TN 1 hat keine Schmerzen, TN2 hat keine akute Schmerzen, TN3 hat keine chronische Schmerzen, TN4 hat kein Bewusstsein verloren. Einige reagieren: Ich erkläre, ich habe KEINE Schmerzen und ich habe … NICHT verloren oder NICHT erbrochen. Wir kommen in etwa durch.
Dann kommt der Satz: „Ich habe es nicht verstanden“. Ich ermutige sie, diesen Satz zu sagen, statt ja zu nicken. Dass die „freundlichen“ Menschen in Deutschland sich stets Mühe geben werden, das Gesagte anders zu formulieren.
Schnell noch die Zimmer im Haus, weil ich die Geräte und Vorrichtungen in der Küche noch erörtern will. Herd, Kühlschrank, Geschirrspüler, Spüle und Arbeitsplatte brauchen ihre Zeit. Auch weil die Frauen jetzt viel untereinander reden. Weil es Freitag ist, gebe ich dem auch Raum.
Und der Unterschied zwischen Lampe – Leuchte – Birne wird heute auch zum ersten Mal beleuchtet. Im Globus gibt es nur Birnen. Jemand meint: „Gibt es auch Birnen die man essen kann.“ Stimmt, bestätige ich, und Obst machen wir später noch mal richtig. Sein Erfolgserlebnis.
Dann die Frage: „Wer hat Angst vor der Polizei“? (Angst als Wort kennen sie, der erste Satz in den Unterrichtsunterlagen ist: Ich habe keine Angst auf der Straße. Es begleitet uns von Anfang an: Auf der Straße brauchen wir keine Angst zu haben.) Zuerst ist Misstrauen vorhanden. Ich frage alle persönlich und mache deutlich, dass ich die deutsche Polizei meine. Ich habe die Polizei hierher eingeladen, weil ich vermitteln will, dass unsere Polizei gut und wirklich ok ist. Ich tue das jedoch nur, wenn alle es gut finden und akzeptieren. Das Misstrauen schwindet, die Polizei kann kommen. Uff.
Da noch etwas Spannung im Raum ist, gibt es ein Spiel. Ich schildere, was ich mit der Polizei tun werde. Ich male eine Ampel, gebe es einer TNin und verweise auf die Ampel am Bahnhof, die alle kennen. Ein Syrer darf Polizist sein. Er stellt sich an diw andere Ecke, genießt die Sonne und weiß, dass er einschreiten sollte.. Ich komme um die Ecke und in diesem Moment wird die Ampel rot (die Zusammenarbeit mit der „Ampel“ klappt wunderbar).
Und dann passiert was: Der Polizist rennt auf mich zu und ruft (intensiv): „Hey“.
Ich: ok, ok – cool down. Ich erkläre, dass Polizisten in Deutschland stehen bleiben und nur rufen.
Beim dritten Mal, ruft er sogar freundlich: ein freundlicher Polizist. Ich muss mal nachfragen, ob ein derartiger Werdegang für diesen stattlichen jungen Mann möglich ist.
Nach der Pause Zahlendiktat und dann warten die Enkel auf mich.
Tag 13: Besuch von der Polizei und schreiben lernen
Heute kommt die Polizei! Wir beginnen gleich die Polizeisätze zu üben. Zum Beispiel:
Polizisten sind freundlich, höflich und korrekt
Die Sicherheit des Bürgers ist der Polizei ganz wichtig
Polizisten sind nicht bestechlich und sie beschimpfen niemanden
Eine Fußstreife kann man grüßen, wenn man Augenkontakt hat – das gehört zur Höflichkeit
Man kann Polizisten nach dem Weg fragen, immer werden sie versuchen zu helfen
Ich erkläre jedes Wort und wir üben, üben, üben.
Dann kommt die Polizei. Wir haben Glück: eine Polizistin und ein Polizist. Wir begrüßen uns und dann erzähle ich meine „Frau = Mann“ Geschichte. Mann und Frau können hier Polizeibeamte werden. UND: Eine Polizistin kann alles was ein Polizist kann. Ich frage, wie schnell die Polizistin 100 Meter laufen kann: 14 Sekunden. Der Mann kann es in 15 Sekunden. Die Polizistin ist schneller. Ich betone es. Danach dürfen die TN die Polizeisätze nachsprechen. Und es passiert etwas Wunderbares. Die Polizeibeamten sind beeindruckt UND sie zeigen es auch.
Das ist mein Erfolgserlebnis. Ich erkläre: „Sehen sie es! Ich habe gesagt, die Menschen auf der Straße werden sie bewundern, nicht belächeln, wenn Sie sich bemühen. Haben Sie den Mann gesehen. Das war Bewunderung. Bewunderung für Sie und Ihre Leistung“. (Ich bin ganz stolz).
Dann stellen die Polizeibeamten sich vor. Sie erklären die Uniform, das Schild „Polizei“ auf Arm und Rücken. Der Name ist zu lesen. Sie erwähnen: Wir tragen die Waffe sichtbar für alle. Zeigen sie auch und zeigen uns auch die Handschellen. Wir dürfen mit zum Polizeiauto. Auch da wieder „Polizei“ auf der Motorhaube und alle Polizeiautos sehen gleich aus. Sirene, Blaulicht und Funk werden erörtert und natürlich was die Polizei für eine Unfallaufnahme braucht.
Total lieb: Unser kleiner Junge darf bei der Polizistin auf den Schoß. Der Papa ist ganz gerührt.
Eine Frau kommt vorbei, sieht diese Menschengruppe und das Polizeiauto. Ich gehe auf sie zu.
„Ist was mit den Flüchtlingen?“ fragt sie etwas geladen. Ich verneine und erzähle von dem Kurs und dass wir heute die Polizei zu Besuch haben. Sie schwenkt 180 Grad: Polizei und ich werden von der Dame sehr gelobt.
Auf Wiedersehen Polizei. Der Beamte erwidert: “Auf Wiedersehen und gerne wieder, es gehört zu unserer Aufgabe. – Vielen Dank.“
Nach der Pause verteile ich Ordner und Schreibpapier (danke liebe Spenderin). Ich habe einen Vordruck gemacht. Er sieht aus wie eine Hausarbeit: Datum – Name – Titel.
Ich erkläre, dass diejenigen, die hier bleiben werden, eines Tages richtigen Unterricht bekommen werden. Und je besser sie lesen und schreiben können, desto schneller wird die „Schule“ vorbei sein und sie können Arbeit suchen. Das leuchtet ein.
Die TN, die kaum oder nicht gut schreiben können, mögen jeden Tag eine Geschichte aus „Nach vorne führen viele Wege“, von Irina, Christian, Kristina usw. schreiben. Sie sollen es mitbringen und ich werde unterschreiben. Ich erkläre, dass sie die Broschüre und das Geschriebene jedem Beamten, der nach der Schreibfähigkeit oder auch nur nach dem Arbeitswillen fragt, zeigen können. Und ich verweise noch mal auf heute Morgen: „Jeder Mensch wird beeindruckt sein, so wie die Polizisten, die hier waren. Das ist gut für Sie, das ist gut für uns alle.“
Es kostet mich allerdings viele Worte, bis (fast) alle die Vorgehensweise verstehen.
Und dann passiert was Lustiges: Zahlendiktat. Der Klassenbeste sagt an meiner Stelle:“17“. Ich habe tatsächlich jeden Tag dasselbe Blatt mit Zahlen genommen, weil ich dachte, das können sie sich sowieso nicht merken. Und jetzt 17! Ich spiele, dass ich empört bin und erzähle, dass meine Frau schon von Anfang an sagte, ich soll jeden Tag andere Zahlen verwenden und ich: „Das können sie sich sowieso nicht merken“. Und wenn ich jetzt nach Hause komme und von der „17“ erzähle wird meine Frau sagen: „Siehst du, ich habe es gesagt.“
Die Frauen erkennen das und lachen sehr – die Männer finden es jedoch auch lustig.
Tag 14: Schreibübungen gelungen und eine kleine Revanche
Eine TNin führt uns durch die Körperteile und Körperverben. Dann kommt die nächste TNin und wir pauken die Zimmer im Haus und die Gegenstände im Wohnzimmer und Schlafzimmer. Dem Ehemann sage ich, ich werde ihn morgen bitten die Körperteile und –verben vorzulesen.
Er stöhnt, seine Frau beruhigt ihn.
Dann arbeiten wir die Küchenliste ab. Das ist einfach, weil der Raum einen kleinen Küchenteil hat, da kann ich Messer und Gabel usw. holen. Ein Küchensatz ist gemein:
Die Suppe kann eine Gemüsesuppe oder eine Markklößchensuppe sein.
(Willkommen in der Pfalz)
Bei „Gemüsesuppe“ müssen sich „ü“ und „u“ mindestens unterschiedlich anhören. Gemusesuppe gilt nicht. Da die Gemüsesuppe harte Arbeit ist und viel schwieriger als „Im Frühling blühen die Blumen“ gönne ich den TN einen Bonbon: Ich versuche das arabische Wort für „Kaffee“ auszusprechen. Dies gelingt natürlich auch nur zu 60 %. Schmunzeln, die Lage entspannt sich wieder.
Und inzwischen kennen wir schon viele Sammelbegriffe: Eltern für Vater und Mutter, Kinder für Sohn und Tochter, Geschwister, Streife für zwei Polizisten und jetzt „Gemüse“.
Und wir lernen die einmalige Eigenschaft der deutschen Sprache, was für Ausländer ungemein schwierig ist, Wörter einfach zu einem Wort zusammensetzen zu können: wir kennen schon Kopftuch (eine TNin), Fußstreife, Dachboden, usw. und jetzt Gemüsesuppe. Da helfen auch keine Englisch Kenntnisse (vegetable soup = zwei Worte).
Dann verteile ich die restlichen Ordner. Ich konnte sie unmöglich auf einmal tragen. Die ersten Schreibübungen liegen vor. Da Startzeit und Endzeit dokumentiert sind, sehe ich, dass Alle die, die Geschichte von Irina aufgeschrieben haben, es in etwa 30 Minuten geschafft haben. Einer hat (auch in 30 Minuten) nur die Hälfte geschafft: Er hat eine sehr schöne Druckschrift, obwohl er kaum lesen kann. Ich lobe und unterschreibe mit „Dr. De Clercq Arnold“ und sage: „Psst, das ist ein Geheimnis, der „Dr.“ hilft beim Sozialamt und der Kreisverwaltung.“
Mein pfiffiger junger Schüler ist auch wieder zu Besuch. Heute kann er mir schon erzählen, dass er in einer Klasse mit 18 Schülern sitzt. Auch deutsche Schüler sind dabei. Ich lege ihm ans Herz, ziemlich intensiv, er soll sich auch deutsche Freunde suchen und in der Pause nicht nur arabisch sprechen sondern versuchen deutsch zu reden oder mindestens zuzuhören. Beim Satz „Kinder essen lieber Spaghetti“ und ich das Wort „lieber“ erklären will, meint er dass er es weiß. Ich erkläre allen den Unterschied zwischen „Liebe“ und lieberrrrrrrrrr“.
Dann kommt Christina, die Friseurin. Zum ersten Mal erwähne ich das Wort „Asyl“ und erkläre dass sie ohne Asyl nicht arbeiten dürfen, jedoch sehr wohl ein Praktikum absolvieren dürfen. Eine TNin liest (die Frauen lesen einfach besser als die Männer) den Text. Das Wort „Hauptschulabschluss“ ist natürlich unmöglich. Ich helfe: Wie Gemüsesuppe: Hauptschule und Abschluss = Hauptschulabschluss. Der Weg von Christina ist gerade ein Musterbeispiel, das deren Werdegang hier in Deutschland darstellen könnte. Sie gleiten mir weg. Ich will sie wieder einfangen und singe ein Loblied auf Deutschland. Welch gutes Land das ist, wenn man das „Allgemeinwohl“ betrachtet. also gut für „ALLE“ Gruppen. Nicht nur für EINE Gruppe. Und mache Mut: „Gehen Sie Ihren Weg, in Deutschland ist es möglich UND lernen Sie die deutsche Sprache!“
Die Leserin von heute Morgen (vom Ehemann) frage ich, ob Sie morgen den Text von Hüsnü Mehmet (39) lesen will. Sie zögert sehr. Auf „Denken Sie, dass das geht?“ kommt „Ich weiss nicht“. Ich mache es kurz. Ich versuche mein „Bitteeeeee“. Damals in der BASF konnte (in Unterrichtstunden) auch Niemand wiederstehen. Sie sagt ja
Die Augen des Ehemannes leuchten jetzt. Eine kleine Revanche!
Tag 15: Kranke Kinder und von hinten lesen
Straßenszene vor dem Haus: Ein Ehepaar kommt mit dem Zug und ist immer schon um 8:40 Uhr vor Ort und wartet draußen. Weil die Frau aufgeschlossen wirkt und sie beide sehr kooperativ sind, habe ich mir angewöhnt, ihnen, wenn ich eintreffe, die Hand zu geben. Im Normalfall kommt der Mann etwas auf mich zu, gibt mir die Hand und sagt: „Guten Morgen, wie geht es Ihnen“. Die Frau wartet etwas abseits. Am Anfang hielt sie sogar die Augen niedergeschlagen. Da wir im Kurs die Begrüßung geübt-gespielt haben, kennen sie den Satz: „In Deutschland wird die Frau zuerst begrüßt“. Nach meinem „Danke, gut und selbst“ sagte ich dann immer „Die Frau zuerst“ Heute Morgen kam die Frau auf mich zu und begrüßte mich, danach der Mann. Ich lobe sie sehr. Schon wieder ein Schrittchen weiter in Deutschland angekommen. Ich freue mich.
Der Kurs ist dünnbesetzt heute Morgen: zwei Kinder sind krank, die Mütter sind zuhause geblieben. Sie werden beide jedoch vom Ehemann/Schwager abgemeldet. Ein Mann ist zum Arzt, (hat sich abgemeldet) die Frau dürfte/wollte (ich weiß es nicht) nicht alleine kommen. Sie werden später gemeinsam mit ihrem Kind eintreffen.
Der gestern ausgewählte Mann macht seine Sache mit „das Haar – die Haare“ gut. Ich lasse ihn ziemlich viel vorlesen und wir sprechen nach. Danach verlange ich Applaus. Er bekommt viel Applaus, nur seine Frau klatscht nur dreimal. Ich gucke sie an, klatsche intensiv und sage „nochmal“. Jetzt bekommt er auch von seiner Frau entsprechend Applaus. Hat er sich auch redlich verdient. Er bringt „der – die – das- die“ beim Lesen noch ziemlich durcheinander. Zum ersten Mal erkläre ich Maskulinum, Femininum, Neutrum und Plural. Genügend Wörter kennen sie ja.
Nach den Zimmern und Gegenständen im Haus kommt Essen und Trinken. Stilles Wasser würden sie lieber „normales“ Wasser nennen, so wie im Garten. Ich verweise auf die Kinder, falls sie mal bei einer deutschen Mama zu Besuch sind. Bei der Gemüsesuppe lasse ich das Kind „Tschüss“ ein paar Mal wiederholen. Das Kind (4 Jahre) sagt ein perfektes „Tschüss“. So hört sich auch Küche und Gemüse an. Ich erkläre, dass Erwachsene diese Perfektion nach dem ca. 30. Lebensjahr nicht mehr erreichen können. Als Trost übe ich noch mal Kaffee (=قهوة / qahwa). Immer noch schmunzeln sie. Danach lernen wir „Gemüse“ Dies geht ziemlich flott. Knoblauch hatte ich vergessen, sie wollen wissen wie man das nennt. Ich singe ein Loblied auf die Spargel und dass es nur 6 Wochen lang Spargel gibt. Bei „10 Euro/kg“ teilen Sie meine Begeisterung nicht mehr so. Ich rate, zu einem Fest Spargel zu servieren. Und ich erkläre, wie man draußen im Feld ein Spargelfeld erkennen kann.
Zu den Gemüsesorten erwähne ich noch, in welcher Jahreszeit man bevorzugt einzelne Sorten kaufen sollte. Das interessiert sie sehr. (Tomaten im Winter sind teuer und schmecken nicht)
Die Schreibübung haben sie treu gemacht. Sie schreiben (viele haben eine sehr schöne Druckschrift) einen Text von ca. 100 Worten, mit Wörtern wie Realschulabschluss – Fachverkäuferin – Bäckereihandwerk in ca. 30 Minuten. Ein Mann hat von 9:15 Uhr bis 10:45 Uhr geschrieben. Ich erkläre dem Ehepaar noch mal die Uhrzeiten und mit Hilfe seiner Frau finden wir heraus, dass er um 9:45 Uhr aufgehört hat. Diese Zeiten hatte ich bei der Frau auch gesehen.
Dann ist „Hüsnü“ an der Reihe. Hüsnü ist Stellvertreter für die Flüchtlingskinder von heute. Er hat ein „Berufsvorbereitungsjahr“ absolviert. Ich erkläre noch mal, dass in der deutschen Sprache die einzelnen Wörter einfach zusammen geschrieben werden. Wenn Sie einen Text lesen, können sie derartige Wörter am besten von hinten lesen: das Jahr, das zu Vorbereitung auf den Beruf gemacht wird = Berufsvorbereitungsjahr. So wie Kopftuch und Gemüsesuppe. usw. .
Ich male den Werdegang, damit ich wieder „Praktikum“ und „Ausbildung“ den richtigen Platz im Werdegang geben kann. Ich staune, wie gut die Frau schon liest.
Tag 16: Abdalramah und vierzehn/vierzig
Ein Sohn ist heute mitgekommen. Ein TN übernimmt die Rolle des Vorlesers beim täglichen wiederholen der Hausgegenstände. Bei den Essen-Trinken-Kochen-Sätzen von gestern hätte ich normalerweise übernommen, ich bitte jedoch Abdalramah nach vorne. Der Vater guckt etwas beunruhigt. Der Sohn lässt sich darauf ein. Er beginnt: „Zum Frühstück essen wir eine Scheibe Brot und…“. Das „Frühstück“ hört sich wohltuend wie „Frühstück“ an. Probleme gibt es, wie bei allen TN wenn sie lesen, bei Wörtern mit „ei“ bzw. „ie“:„Scheibe (Schiebe), mein (mien). Jeden Tag zähle und schreibe ich: eins, zwei, drei, vier. Das klappt, nur beim Lesen noch nicht.
Ich bitte um ausgiebigen Applaus für Abdalrahmah, den bekommt er auch. Ich lade ihn ein, immer, wenn er keine Schule hat, hierher zu kommen und natürlich: Schule ist viel wichtiger als hier zu sein. Abdalramah ist 13, wirkt jedoch jünger.
Dann arbeiten wir die Liste der Obstsorten ab und ich ergänze, wann sie welche Sorten am besten kaufen und mache Werbung für die regionalen Produkte von unseren Obstbauern: frisch, preiswert und gesund. Obstsorten geht ziemlich flott. Um 10 Uhr sind wir fertig.
Bisher haben wir ca. 600 Wörter gelernt und, abgesehen von heute und gestern, alle mindestens 10-20 Mal über mehrere Tage wiederholt, einzeln und in der Gruppe. „Laut, laut“ sage ich dann immer. Das ist besser für das Gehirn, es hört dann mit (Danke Hirnforschung).
Ich verteile die Broschüre „Praktikumsleitfaden“ (danke liebe Mitarbeiterin vom IHK). Ich male noch mal Grundschule – Hauptschule/Realschule (aus „Nach vorne führen..“) –Abschluss der Schule – Praktikum und Ausbildung (mit Abschluss). Ich mache Mut sich über ein Praktikum Gedanken zu machen. Und formuliere vorsichtig, dass der Mann, der Schweißer ist, sich hier auch weiterzubilden hat, bevor er eine Arbeit bekommen kann (Das hat die Handwerkkammer mir gesagt, die Einladung für den Mann habe ich schon vorliegen). Für ein Praktikum gibt es als Asylsuchende Möglichkeiten. Ich rege an, die Seiten mit wenig Text schon mal zu lesen und mit dem Smartphone zu übersetzen. Nächste Woche lesen wir noch eine Geschichte aus „Nach vorne führen viele Wege“ und dann werden wir uns mit dem Praktikumleitfaden beschäftigen.
Ich frage sie auch bis nächste Woche aufzuschreiben, welchen Beruf sie im Heimatland hatten oder hier nachgehen möchten. Und bestärke die Frauen, dass es bei uns total normal ist, wenn Frauen arbeiten. Abgesehen von Müttern mit kleinen Kindern arbeiten alle jungen Frauen.
Die Dame mit Kopftuch habe ich noch nicht überzeugt.
Die Geschichten von Irina, Christian usw. haben sie alle brav geschrieben. Ich lobe alle für die schöne Handschrift, die sie haben. Zehn Geschichten insgesamt sollen sie schreiben. Sie sollen die geschriebenen Geschichten zusammen mit der Broschüre „Nach vorne..“ in dem Ordner aufbewahren und sie überall zeigen, wo es angebracht ist. Ich bin mir sicher, sie werden nicht viele Worte brauchen, um Anerkennung für das Geleistete zu bekommen und es wird ihre Chancen auf eine schnelle Integration erhöhen.
Nach der Pause kommt Zahlendiktat. Gestern gab es wieder viele Fehler. Meine Frau hatte anhand der noch vorhandenen Fehler der Vortage eine weitere Reihe von 20 (schwierigen) Zahlen zusammengestellt. Ich wiederhole noch mal vierzehn und vierzig, sieben – siebzehn – siebenundzwanzig und siebzig. Und erkläre dem Papa von Abdulramah, dass es für ihn besser ist die Zahlen von rechts nach links zu schreiben, so wie er sie hört. Und los: 40, 50, 15, 60,…..
Zum Schluss kommt der Vater von Abdalrahmah auf mich zu. Er verrät mir, (sein Sohn übersetzt) dass er in Syrien nicht in der Schule war. Geahnt hatte ich es. Ich bestärke ihn: „Wissen Sie, für Sie ist das hier ungeheuer schwierig. Sie kommen jedoch jeden Tag. Nicht wie viele, die einen oder zwei Tage gekommen sind und dann wieder weggeblieben sind. Nein, Sie sind immer noch hier: das ist mutig, sehr mutig. Und gut für Sie und Abdalrahmah!“ Dankbar gibt er mir die Hand.
Tag 17: Schwanger und Berufe
Ein TN-Paar meldet sich noch vor Kursbeginn ab. Seine Frau hat um 10 Uhr einen Termin beim Arzt. Der Mann erklärt mir, dass seine Frau auch alleine gehen könnte, er jedoch als Übersetzer mitgeht, weil die Frau nicht so gut Englisch reden kann. Ich wollte heute nach „Nach vorne führen viele Wege“ die Berufe bzw. die Berufswünsche für das Berufsleben hier in Deutschland erfragen. Ich frage die Frau, ob sie mir jetzt schon den Berufswunsch mitteilen kann. Sie guckt ihren Mann, er sagt: „Sie ist seit 2 Monaten schwanger“. Ich gratuliere und freue mich mit den werdenden Eltern und natürlich ist damit der Berufswunsch erst mal klar.
Wir arbeiten uns durch die Hausgegenstände, Gemüse und Obst. Dies funktioniert schon ziemlich gut. Obest und Karetoffel sind nur noch sporadisch zu korrigieren. Ein Mann spricht Birne wie Birna aus. Seine Frau spricht das „e“ deutlicher aus. Ich sage zu ihr: „Sage zu deinem Mann mal „Birne“, er: „Birna“. Nochmal: Birne – Birna. Dann rate ich: „Heute Abend üben Sie zu Hause: „Birne, Birne, Birne“. Alle lachen
Dann kommen die Farben und die Farben-Sätze. Für einen Satz wie: „Abends, beim Sonnenuntergang, ist der Himmel rot gefärbt“ brauche ich nicht mehr viele Worte. Abend, Sonne, unter, Himmel, rot kennen sie schon. Wenn sie mir die Worte erklären, brauchen sie noch viele Gesten. Jemand sagt jedoch: „Die Sonne steht am Himmel“. Ein Anderer“ Im Himmel sind Sterne“
Mit „gefärbt“ werden die Verben vorbereitet.
Nach dem Zahlendiktat frage ich die TN, jeder soll die Zahl der Flüchtlinge die 2015 in Deutschland eingetroffen sind, so wie er/sie denkt, aufschreiben und wie viele 2016 noch erwartet werden.(nicht reden, nur denken und schreiben). Die 2015er Zahl variiert von 20.000 bis 100.000. Nur ein TN hat die Zahl von 1.000.000. Er ist schon 3 Jahre hier. Eine 2016er Zahl können sie mir nicht geben. Sie denken es ist vorbei. Ich erkläre, wie schwierig die jetzige Situation für uns alle ist. Für die, die gekommen sind und wie wir uns hier in Deutschland anstrengen, allen eine Wohnung oder ein Zimmer zur Verfügung zu stellen. Sie sitzen vor mir und ich zeige auf jeden/jedes Paar: eine Wohnung, noch eine Wohnung, ein Zimmer, noch eine Wohnung, usw. Ich hoffe, sie bekommen ein wenig Verständnis für den Einsatz und die Leistung, die dieses Land und seine Menschen für diejenige, die vor mir sitzen und den Rest der Million in diesen Monaten geschafft haben. Ich meine Bewunderung zu sehen.
Dann kommt noch die Geschichte von Jan-Robert, der über den Meister die Hochschulreife ohne Abitur schafft. Und ich mache Mut und Werbung für einen beruflichen Werdegang.
Ich frage die Berufe ab: ich denke ein Lackierer ist dabei (bin mir jedoch noch nicht sicher), jemand hatte einen Teeladen in Kabul und spielte Musik am Wochenende (ohne Noten lesen zu können), ein Maschinenführer (Strickmaschine), die Frau mit Kopftuch lehnt nicht mehr ab. Sie meint vielleicht Friseurin (nach dem Vorbild von Christina aus „Nach vorne …“). Ich lasse sie „nachdenken ( Nordpol – Anton – Cäsar – Heinrich usw.: Buchstabieren klappt inzwischen wunderbar) in das Smartphone schreiben und auf Arabisch übersetzen.
Sie nickt, sie hat verstanden, sie wird nachdenken. Und ich: „Morgen reden wir wieder darüber“
Zum Schluss verweise ich noch auf den Praktikumsleitfaden, mit dem wir morgen beginnen. Und noch mal die Anregung, dass in Deutschland alle Frauen vor der Geburt der Kinder und nachdem die Kinder im Kindergarten sind, zur Arbeit gehen. Wenn Frauen hier nicht arbeiten gehen, sitzen sie einsam und allein zuhause. Auf der Arbeit finden sie Freundinnen und lernen deutsche Kolleginnen und Gewohnheiten kennen. Das ist viel besser als alleine zuhause zu sitzen UND das ist gut für uns alle.
Tag 18: Berufe und falscher Name
Heute beginnen wir mit den Körperwörtern, ein allerletztes Mal. Dann die üblichen Module: Insgesamt brauche ich vier TN. Sie sind so weit, dass ich einfach fragen kann: „Wer will lesen?“ Das Angebot ist größer als die Nachfrage. Noch einmal durch die Farben und die Farbsätze. Ich hatte gestern eine Andeutung gemacht, dass das Wort „braun“ in Deutschland belastet ist: aus der Vergangenheit und auch heute noch. Eine TNin hatte gestern eine braune Jacke an. Beim Wort braun guckt sie mich an und zeigt auf ihre Jacke: Heute ist sie beige.
Ich habe eine Seite mit ca. 80 Namen von Kleidungsstücken vorbereitet. Wir arbeiten jedoch nur 25 Wörter ab. Ich gehe davon aus, die Neugierde wird den restlichen Part übernehmen und bei „Mieder“ bin ich sowieso überfordert. Bei „Anzug“ zeigt uns jemand sein Hochzeitsfoto auf dem Smartphone: Mitgedacht! Flip-Flop habe ich aufgelistet und erkläre, dass im Schwimmbad immer Flip Flops zu tragen sind. Wieder eine Überraschung. Jeans ist leicht und Kopftuch hat jetzt auch seinen Platz. Ich erfrage das arabisches Wort für „Schleier“, weil ich weiß, dass ein TN eine verschleierte Ehefrau hat, die ist mit dem Baby zu hause. Aber damit ist meine Akzeptanz für diese Kleidungsart im Raum.
Unterwäsche gesellt sich jetzt zu Bettwäsche. Als Zugabe spiele ich „Stöckelschuhe tragen“. Das passt noch zum Anzug und Kleid. Die Frauen finden dies lustig. Pause.
In der Pause bitte ich die TN eine Teilnehmerliste zu unterschreiben. Ein TN fragt mich: Deutscher Name? Ich verstehe die Frage nicht und bejahe. Er schreibt als Vorname: Rias. Ich verweise auf meine Liste, dort hatte ich „Ghiath“ eingetragen. Er sagt: das ist mein Englischer Name. Was hat man diesen Menschen hier schon alles angetan?
Nach der Pause frage ich fünf Minuten Aufmerksamkeit für einen TN: ich bitte ihn 1 – 10, 11 – 19 und 20, 30, 40 usw. aufzuschreiben und es dann dreimal auszusprechen: Sieben – siebzehn -siebzig. Beim Zahlendiktat spielt die Kasse im Globus die Hauptrolle: Ich werde lesen: 24 Euro 15 Cent und erkläre, wie sie die Zahl zu schreiben haben und statt „Euro“ einen Komma schreiben sollen. Der TN, der an der Tafel war, gibt nach der dritten Zahl auf. Er wirkt dermaßen traurig und verloren, dass ich innehalte, ihn und die Gruppe frage, ob bei ihm alles ok ist. Niemand sagt was. Auch ich habe keine Worte, die er verstehen könnte, um ihn zurückzuholen, die Traurigkeit zu teilen und Mut zu machen. Nur meine Augen bleiben mir, sie gucken ihn an.
Wir konjugieren schwache Verben. „Was sind Verben?“ Der Zuspruch ist wohltuend: essen, trinken, schlafen, riechen. Der Trick mit den Sätzen hat sich gelohnt. Ich erkläre den Verbstamm, verweise auf den „Ich – du – er“-Tanz aus der ersten Woche und dann: -e, -st, -t usw. Eine Dreierkombination: Ich, du er – Verbstamm – -e,-st, -t.
Wir üben anhand von fünf Verben (zwei davon sind bereits geläufig). Nach einigen gemeinsamen Runden folgt der individuelle Einsatz. In der Runde danach dürfen sie zuerst die Konjugation lesen und anschließend mich anschauen und auswendig aufsagen. Erstaunlich diese Leistungsfähigkeit!
Sehr viel Korrekturbedarf besteht bei: schreibest – denkest – trinkest
Dann kommt der Praktikumleitfaden. Ich erkläre noch mal das Deutschniveau A1 und natürlich: Hier in Deutschland kann man nicht einfach irgendwo klingeln und sagen: „Hey ich möchte ein Praktikum machen“. Nein, ein Praktikum will vorbereitet sind. Deswegen werden wir mit diesem Leitfaden arbeiten. Ich hab jedoch noch eine kleine Rechnung offen. Die Ehefrau eines TNs hatte mal in der Pause ihren Mann gerügt, dass er immer „Entschuldigung, ich habe eine Frage ..“ gesagt hat.
Ich zwinkere ihm zu und spiele es nach : 9:15 Uhr – Entschuldigung, ich habe eine Frage, 9:30 Uhr Entschuldigung usw. bis halb elf. Der Frau ist es peinlich, er lacht. Ich verweise auf die Seite 22 im Leitfaden: „Checkliste: Verhalten während des Praktikums“. Erster Punkt: Fragen Stellen (!!!)…..
(die Ausrufezeichen stehen so im Buch) und ich lobe den Mann ausgiebig. Sie versteht und akzeptiert (sehe ich da Stolz?). Der Mann ist pfiffig: Auf seinem Smartphone liest er: „Wach sein und Interesse zeigen“. Welch eine Vorlage für die deutschen Werte. Ich koste es aus.
Tag 19: Ein Lächeln und ungewohnt
Wir beginnen mit den Farben. Wir lassen die Sonne untergehen, damit der Himmel sich rot färbt und, etwas gewöhnungsbedürftig hier in diesem Raum, das Gras grün ist und auf der anderen Seite des Hügels immer grüner ist – Was habe ich mir damals doch gedacht, als ich die Unterlagen erstellt habe.
Zu Beginn des Kurses, als alle noch die richtige Seite in den Unterlagen suchen, schenkt mir eine TNin, die bisher sehr zurückhaltend war, ein strahlendes Lächeln. Welch ein Werdegang! Wochenlang die Augenlider niedergeschlagen und jetzt diese orientalische Anmut! Ich freue mich riesig für sie. Sie hat sich Deutschland wieder ein Schrittchen genähert.
Wir ziehen noch mal den Hochzeitsanzug an und die Frau korrigiert die Krawatte des Mannes und eine Bluse tragen nur Frauen, sowie Rock und Stöckelschuhe.
Dann konjugieren wir die schwachen Verben, die Dreierkombination: ich, du, er mit Verbstamm und e, st, t usw. vor der Pause. Weil dies doch sehr anstrengend ist, vermittle ich noch die Possessivpronomen, jetzt strukturiert und nur im Nominativ. Durch die vielen Sätze und das ständig wiederholen, sind die geläufigsten überhaupt kein Problem.
Nach der Pause ist Zahlendiktat. Eine TNin (drei Jahre in Deutschland) hat heute den Sohn(2,5 Jahre) mitgebracht, weil er im Kindergarten noch viel weint. Der Junge verhält sich natürlich ganz anders als die bisherigen Kindbesucher. Nach einer halben Stunde hat er sich bereits zu meinen Schnürsenkeln vorgearbeitet und sagt „Opa“ zu mir. Und auf einmal, einfach schön, gibt es ein Echo. Ich sage langsam: „Ich trinke“, das Echo: „ich“, Ich: du trinkst – das Echo: du, er trinkt – er, usw. Nach „Sie trinken“ mit Echo sage ich: „Küche“, das Echo: „Küche“. Seht ihr, die Kinder können das. Der Tnin empfehle ich, die Kinder ( er hat noch zwei Geschwister in der Grundschule) ihre Kindersprache (sei es Deutsch und/oder Persisch) zu lassen, nicht einzugreifen.
Das ist besser für uns alle.
Beim Zahlendiktat, heute wieder 34 Euro und 47 Cent = 37,47 bitte ich um totale Stille und Konzentration. Einige tun sich noch schwer, habe ich gestern gesehen. Das klappt bei der ersten Zahl. Danach ist das Echo wieder im Raum. Die Mutter kann das Kind nicht einfangen, will auch bei den Zahlen mitschreiben. Ich nehme das Kind auf meinen Arm und diktiere weiter. Es klappt. Nach der zehnten Zahl ist das Kind immer noch leise und mein Arm müde. Ich setze das Kind auf meine Schultern. B. akzeptiert. Die Brille und die wenigen Haare sind ja ein toller Spielplatz. Trotz der Ernst der Lage und der Konzentration muss ich innerlich schmunzeln: Welcher Mathelehrer hat schon mal ein Zahlendiktat mit einem Kleinkind auf der Schulter gegeben? Und ich hoffe, seine Mama verrät ihn nicht, dass er schon mit 2,5 Jahren dem Lehrer auf dem Kopf gesessen hat.
Dann reden wir noch mal über das A1 Zeugnis für ein Praktikum und das neue Kursangebot in Grünstadt. Ich spreche noch ein paar Empfehlungen für einzelne TN aus und wir suchen bei Google Maps die einzelnen Standorte. Ich erkläre noch mal, dass das nächste Ziel dieses A1 Zeugnis sein sollte und ich dies nicht anbieten kann. Dann gibt es viele Worte im Raum und auch noch einige Fragen. Ich befürworte die Kurse sehr, weil sie ein weiterer Meilenstein sind. Es stellt sich heraus, dass eine Doppelbelastung zu schwer ist. Ich akzeptiere und ermutige: „Gehen Sie Ihren Weg“.
Wir einigen uns, dass Morgen die letzte Unterrichtseinheit sein sollte. Ich bitte, dass Alle noch mal kommen.
Tag 20: Gott und Abschied
Guten Morgen, heute ist der letzte Unterrichtstag. Traurige Gesichter.
Wir beginnen mit den Farben und den Kleidungsstücken, ein TN meldet sich freiwillig zum Vorlesen. Anschließend konjugieren wir noch fünf schwache Verben und üben die Sätze dazu. Die Vorgehensweise bei der Konjugation der starken Verben erkläre ich noch mal ausgiebig. Wir lesen die zwanzig Verben, bei einigen noch eine kurze Erklärung und los: Ich nehme, du nimmst, er….. .Dabei schlägt mein Arm wie eine Pendeluhr: Links das „nehm“ nach rechts das „nimm“. Bei den Sätzen taucht das Wort Straßenbahn auf. Ein TN nennt das Wort „Mannheim“.
Und es ist logisch: der Zug auf den Schienen = die Bahn, der etwas kleinere Zug auf den Schienen in der Straße: Straßenbahn. Und den Bus nicht vergessen. Und wir lernen noch, dass das Kind nicht locker „lässt“, weil es einen Hund oder eine Katze will. Ich erörtere den Status von Hunden und Katzen hier in Deutschland, und wie mit diesen Tieren umzugehen ist. Im nächsten Satz nimmt das Kind ein Stück Brot und gibt es dem Hasen.
Der nächste Satz: Er hält die ganze Welt in seiner Hand. Ganz schön mutig von mir damals. Als guter Katholik versuche ich jedoch mein Glück. Muslime und Christen hatten wir schon ein paar Mal. Ich male einen großen Gott und wie er die Welt in seiner Hand hält an die Tafel. Das ist ein Bild, das wir in einem Lied singen, erkläre ich. Im Raum tut sich nichts Negatives. Dazu gesellt sich, passend zum Bus, Bahn und Straßenbahn, die Haltestelle. Einen TN fällt das Wort „Tankstelle“ ein. Eine Stelle, wo man tankt oder wo der Bus hält. Wieder ein Wort.
Nach der Pause will ich noch drei Punkte abarbeiten. Ich rate ausgiebig (plus Lokalübersetzung) jeden Tag 10 Seiten meiner Unterlagen laut zu lesen. Wenn die Worte wieder in die Ohren gehen, funktioniert das Auswendiglernen schneller. Jetzt ist das Sprechen noch mühsam, weil die Wörter zu langsam kommen. Je mehr man übt, desto schneller kommen sie und desto einfacher ist das Sprechen ist. Ich setze den Zeithorizont auf 3-4 Monate.
Ich ermutige sie, so lange in den Unterricht zu gehen, bis sie das A1 Zeugnis geschafft haben und biete an: Ich verspreche Ihnen, wenn Sie dieses Zeugnis haben, komme ich zurück. In kleinen Gruppen werden wir dann den Praktikumsleitfaden durchforsten, Bewerbungsunterlagen erstellen, ein Bewerbergespräch üben und dann so lange suchen, bis wir für jeden einen Praktikumsplatz gefunden haben. Ein kleiner wertvoller Trost bei diesem Abschied und ein Ausblick in die Zukunft!
Die Zeugnisse werden verteilt. Für Manche kommt es unerwartet, ich brauche nur einen Satz zur Erklärung: „Das ist Deutschland hier“. Ich gratuliere allen von Herzen. Freude und Stolz sind im Raum zu spüren. Ich schließe ab: „Sie haben jetzt in einem schönen Ordner die Kursunterlagen, die Broschüre „Nach vorne führen viele Wege“ (gelocht), die eigenhändig geschriebenen Geschichten aus der Broschüre (von Christina und Irina, usw,) und das Zertifikat. Eine gute Argumentationshilfe“. Welcher Flüchtling kann nach vier Monaten Deutschland Ähnliches schon vorweisen!
Zum Schluss fragen sie, ob sie noch ein Foto mit mir machen können. Ich lasse mich darauf ein. Schnell bildet sich die ganze Gruppe und da es viele Smartphones gibt, ist dies ein schönes Treiben. Dann fällt jemandem ein, ein Bild MIT Zertifikat ist unabdingbar. Und noch eine Runde. Marktstimmung, eine schöne Erfahrung nach all dem Pauken der letzten Wochen.
Noch ein letzter Händedruck und alle machen sich auf den Weg. Zum Schluss kommt ein TN auf mich zu und sagt: „Sie haben uns sehr geholfen und ich danke dafür. Ich kann mich vor Ihnen nicht verneigen, weil man bei uns in Afghanistan sich nur vor dem Vater oder Großvater verneigt. Für mich sind Sie ein großer Mann.“
Dr. De Clercq Arnold